
Im Katastrophenschutzlager des Enzkreises, das sich in der neuen Straßenmeisterei in Maulbronn befindet. Foto LRA Enzkreis Sabine Burkard
ENZKREIS, 29.10.2025 (enz) – „Wir haben verschiedene Zuständigkeiten und Strukturen, aber dieselben Probleme.“ Auf diesen Nenner brachte Cristiano Ceccato, Leiter des „Bezirksbüros für Territoriale Sicherheit und Bevölkerungsschutz“ in Reggio Emilia – der norditalienischen Partnerprovinz des Enzkreises – die vielfältigen Informationen und Anregungen, die er und zwei seiner Mitarbeiter bei einem zweitägigen Besuch hier in der Region mitnahmen.
„Unsere italienischen Freunde sind in jüngster Vergangenheit mehrfach von Hochwasser und Erdrutschen infolge von Starkregen und Stürmen heimgesucht worden. Deshalb wollten sie sich mit uns austauschen, was wir als Behörden tun können, um Mensch und Umwelt in so einem Fall möglichst gut zu schützen“, erläutern Christian Thümmel und Janna Dukat vom Sachgebiet Bevölkerungsschutz im Landratsamt die Hintergründe; sie und ein paar ihrer Kollegen waren aus demselben Grund im vergangenen Jahr bereits in Reggio.
Die Provinz ist mit rund 2.200 Quadratkilometern etwa vier Mal so groß wie der Enzkreis; sie umfasst 42 Städte und Gemeinden, in denen mehr als eine halbe Million Menschen leben. Die nördliche Grenze bildet die Poebene, die südliche das Appenin-Gebirge. „Die anspruchsvolle Topographie und die große Fläche stellen uns vor enorme Herausforderungen“, wie der studierte Geologe Ceccato bei der Begrüßung durch Landrat Bastian Rosenau berichtete. „70 Prozent der Gebäude in unserer Provinz liegen in einem trockengelegten ehemaligen Sumpfgebiet mit einer mittleren bis starken Hochwassergefährdung. Im Oktober vergangenen Jahres – nur eine Woche nach dem Besuch der Enzkreis-Mitarbeiter – hatten wir nach einem schweren Unwetter mit zahlreichen Erdrutschen und Dammbrüchen zu kämpfen, wir mussten 1200 Personen evakuieren. Und im Jahr 2012 wurde ein ebenfalls dicht besiedeltes Areal in der Emilia Romagna von einem starken Erdbeben heimgesucht, das 38 Todesopfer forderte. Wir müssen in unserer Region also jederzeit mit einem Schadensereignis rechnen.“

Wie im Ernstfall der Einsatz der Kräfte vor Ort koordiniert wird und welche Funktechnik dabei neuerdings verwendet wird, erfuhren die italienischen Gäste in den Räumlichkeiten des Führungsstabs von Kreisbrandmeister Carsten Sorg (rechts). Foto LRA Enzkreis, Christian Thümmel
Die Menschen in der Poebene wüssten das aus Erfahrung und würden sich entsprechend vorbereiten. Je weiter man in Italien jedoch in den Süden komme, desto mehr lasse das Risikobewusstsein nach. Ceccato betrachtet es daher als eine der größten Aufgaben, die Menschen für die Gefahren zu sensibilisieren und ihnen klarzumachen, dass sie für ihren Schutz mitverantwortlich sind. Dem konnte der Landrat nur beipflichten: „Auch wir als Landkreis haben uns für die Zukunft den Schwerpunkt gesetzt, resilienter zu werden und die Bevölkerung noch besser als bisher auf den Ernstfall vorzubereiten.“
Während ein Großteil der Verantwortung in Sachen Bevölkerungsschutz in Baden-Württemberg bei den Städten, Gemeinden und vor allem auch den Landkreisen liegt, wurden in Italien die Provinzen, die den deutschen Kreisen entsprechen, vor einiger Zeit vieler Kompetenzen „beraubt“; daher sind sie beispielsweise auch im Zivil- und Katastrophenschutz auf die Unterstützung Tausender Ehrenamtlicher angewiesen. Das hat sich laut Ceccato in der Koordinierung als sehr aufwändig erwiesen: In der gesamten Emilia Romagna gibt es schließlich rund 16.000 aktive Freiwillige, organisiert in rund 500 verschiedenen Organisationen. „Wir hier im Enzkreis und in der Stadt Pforzheim arbeiten mit einer Handvoll Hilfsorganisationen zusammen und das klappt in der Regel prima“, machte Kreisbrandmeister Carsten Sorg im Gespräch mit den italienischen Gästen die Unterschiede deutlich.
Gute Arbeit leistet laut Sorg auch die Integrierte Leitstelle Pforzheim-Enzkreis, die mit etwa 50 Mitarbeitenden rund um die Uhr für schnelle Hilfe sorgt, wovon sich die Italiener vor Ort in den Räumlichkeiten am Mühlkanal ebenfalls ein Bild machen konnten. Beeindruckt zeigten sie sich hier insbesondere von MoWaS – einem Modularen System, mit dem im Krisenfall die Bevölkerung unverzüglich und zuverlässig gewarnt werden kann.
Beeindrucktes Staunen und viele Fragen der Italiener auch bei der Besichtigung der Feuerwehr Mühlacker mit den Zentralwerkstätten des Enzkreises und beim Besuch der Feuerwehr Ötisheim. Dort standen im Beisein von Bürgermeister Werner Henle insbesondere deren Spezialfahrzeug für Unwettereinsätze und Vegetationsbrände sowie der landkreiseigene Gerätewagen-Gefahrgut, stationiert bei der Feuerwehr Niefern-Öschelbronn, sowie der Austausch mit den Ehrenamtlichen im Mittelpunkt. „Infos satt“ gab es für die Gäste schließlich auch bei der Feuerwehr Öschelbronn: eine Besichtigung des Fuhrparks und der THW-Unterkunft, Gespräche mit Bürgermeister-Stellvertreter Erik Schweickert und den Feuerwehrleuten – und als Höhepunkt ein gemütliches Grillfest, zu dem die Niefern-Öschelbronner Kameraden die italienischen Gäste eingeladen hatten.
Diese kleine Pause hatte sich die Delegation auch redlich verdient, denn sie waren zuvor noch in den Räumlichkeiten des Führungsstabes im Landratsamt „mit Feuereifer“ dabei zu erfahren, wie im Ernstfall der Einsatz der Kräfte vor Ort koordiniert wird und welche Funktechnik dabei neuerdings verwendet wird.
„Bei den Errungenschaften, die wir präsentiert haben, durfte natürlich auch das Katastrophenschutzlager des Enzkreises, das sich in der neuen Straßenmeisterei in Maulbronn befindet, nicht fehlen“, wie Erste Landesbeamtin und Bevölkerungsschutz-Dezernentin Hilde Neidhardt betont. Sie hatte die Delegation in die Halle begleitet, wo nun unter der Regie des Landkreises zentral die verschiedensten, in einem Krisenfall erforderlichen Ausrüstungsgegenstände gelagert werden: Von Schutzkleidung, Masken, Klappbetten, Wasserkanistern und Filteranlagen über Zelte, Stromgeneratoren, Küchenausstattung, Sandsäcke und Ölsperren.

Beim Besuch der Integrierten Leitstelle Pforzheim-Enzkreis ging es vor allem um das Modulare Warnsystem. Foto: LRA Enzkreis Christian Thümmel
Christian Thümmel hat dafür eine Art Katalog angelegt, um den Gemeinden und Feuerwehren einen Überblick über das Material zu geben und ihnen das Ordern zu erleichtern. Als Cristiano Ceccato diesen zu Gesicht bekam, entfuhr es ihm: „Das ist ja eine klasse Idee – sowas brauchen wir auch“. Worüber die Italiener ebenfalls schon verfügen, sind Besen und Schaufeln zur Ausrüstung sogenannter „Spontanhelfer“, also von Menschen, die sich nach einem Schadensereignis spontan bereit erklären, bei der Bewältigung zu helfen. Seit den schlimmen Überschwemmungen in Norditalien im Jahr 1966 werden diese Menschen laut Ceccato in Italien nur noch „angeli del fango“, also „Schlammengel“ genannt. „Dieser Begriff gefällt mir so gut und ist so treffend, dass man nur hoffen kann, dass er irgendwann einmal auch in den deutschen Sprachgebrauch übergeht“, so Neidhardt. Und die Chancen stünden nicht schlecht: Schließlich hätten die Italiener auch schon die deutsche „Motorsäge“ übernommen – sie heißt dort „Motosega“.
Die Delegation begegnete übrigens noch einem „Engel der anderen Art“ – und zwar in Person von Maren Recken, der Vorsitzenden des Partnerschaftskomitees Mühlacker, das seit knapp 50 Jahren Kontakte nach Bassano del Grappa in der norditalienischen Provinz Venetien pflegt. Recken hatte während des gesamten Besuchs die Übersetzung übernommen und dabei auch schwierige Fachbegriffe wie „Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeug“, „Führungsunterstützungseinheit“ oder die Erklärung des Unterschieds zwischen den deutschen Begriffen Bevölkerungsschutz, Zivilschutz und Katastrophenschutz mit Bravour gemeistert.
