ENZKREIS/NEUHAUSEN, 26.08.2022 (enz) – Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648, der weite Teile Europas erschütterte, hatte traumatisierende Auswirkungen auf die betroffenen Gebiete und die dort lebenden Menschen. Ein Team im Kreisarchiv des Enzkreises unter Leitung von Konstantin Huber arbeitet schon einige Zeit daran, die Auswirkungen auf die gesamte Region zu erschließen. Als Bestandteile des Projekts sind ein Buch, eine Ausstellung, ein Internetauftritt und eine wissenschaftliche Tagung geplant. Erste Ergebnisse zur Zerstörung Ölbronns 1622, in der Frühphase des Krieges, stellte Huber bereits bei einem sehr gut besuchten Vortrag im Rathaus in Ölbronn vor.
„Während die allgemeinen historischen Hintergründe bereits gut erforscht sind, muss man zur Aufarbeitung der Geschehnisse vor Ort tief in Originalquellen eintauchen“, erläutert Konstantin Huber. Das Projektteam werte deshalb alle auffindbaren Originaldokumente wie Akten, Schadensberichte oder Kirchenbücher aus. Dort schilderten die Pfarrer häufig sehr bildhaft das extrem brutale Vorgehen der marodierenden Soldateska gegen die wehrlose Bevölkerung. „Rückschlüsse aus oft widersprüchlichen Berichten auf greifbare Zahlen wie tatsächliche Todesopfer oder die Zahl zerstörter Gebäude sind allerdings nur mit Vorsicht und bestenfalls annähernd möglich“, sagt Huber.
Ganz schwierig wird es dort, wo Unterlagen völlig fehlen, beispielsweise im „Biet“, dem ehemals Gemmingischen Gebiet südöstlich von Pforzheims In der Pfarrgemeinde Neuhausen, zu der im 17. und 18. Jahrhundert die Orte Neuhausen, Steinegg, Hamberg, Schellbronn, Lehningen und Hohenwart gehörten, haben sich die Taufbücher ab 1649 sowie die Sterbe- und die Heiratseinträge ab Oktober 1679 erhalten. Der Dreißigjährige Krieg war da bereits vorbei.
Umfangreiche Anmerkungen in den Kirchenbüchern
Die Pforzheimer Journalistin und studierte Historikerin und Kunsthistorikerin Uta Volz beschäftigt sich seit vielen Jahren zusammen mit dem Kreisarchiv mit der Erschließung der Kirchenbücher. Sie entziffert, erfasst und übersetzt dabei alle – meist lateinischen – Angaben und die oft recht umfang- und aufschlussreichen Anmerkungen der Pfarrer zu Kirch- und Glockenweihen, Wallfahrten und Prozessionen, Ablässen, Visitationen, Regeln für Taufpaten und Trauzeugen, Ehelizenzen und Einführung des Kalenderwechsels. „Daraus ergeben sich oft interessante Informationen, die sich weiterverarbeiten lassen“, verrät Volz.
Durch eine gezielte Überarbeitung bereits erfasster Daten konnte die Fachfrau Familienverbünde rekonstruieren, was wiederum Rückschlüsse auf die Anzahl der in den Orten lebenden Menschen zulässt. Außerdem wird die Auswertung nach Kriterien wie Standeszugehörigkeit und ortsfremder Herkunft möglich, die einen Blick auf den Umfang der Zuwanderung und die Herkunftsorte der neuen Mitbewohner ermöglicht. „Das ist die nächste anstehende Aufgabe für das Projekt. So kann das Biet auch ohne direkte Quellen in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges zumindest ansatzweise verortet werden“, freut sich Archivar Huber.
Die Erschließung von Kirchenbüchern ist eine zeitaufwändige und über weite Strecken auch eintönige Arbeit. Umso schöner sind unerwartete Zufallsfunde wie der Heiratseintrag von 1762 der Fayencebuntmalerin und Unternehmerin Maria „Seraphia“ Susanna Magdalena Aloysia Schick, verwitwete von Löwenfinck, mit dem in württembergischen Diensten stehenden Leutnant Daniel de Beckè. Die aus Fulda gebürtige Seraphia hatte bereits Porzellanmanufakturen in Haguenau und Straßburg geleitet und zog mit ihrem zweiten Mann nach Ludwigsburg, wo sie zunächst „Condirektorin“ der Porzellanmanufaktur und ab 1777 eigenständige Leiterin der Fayenceabteilung war.
Trauzeuge bei der Heirat war Joseph Heinrich Maria Dionysius Freiherr von Gemmingen-Mühlhausen. Entweder war diese Bekanntschaft Anlass für die Hochzeit in der Pfarrkirche von Neuhausen oder das im Barockstil kostbar ausgestattete Gotteshaus übte Anziehungskraft auf die Künstlerin aus. Dies trifft im Übrigen auf alle der im 18. Jahrhundert barock ausgestatteten Kirchen und Kapellen im Biet zu: Eine Vielzahl ortsfremder Paare ließ sich dort trauen – aber das ist eine andere Geschichte…