PFORZHEIM, 28.04.2022 (pm) – Von einem, der seit Jahrzehnten mit ansehen muss, was in Sachen Klimaschutz weltweit falsch gemacht wird, könnte man eine Moralpredigt erwarten. Aber Professor Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker streut im Audimax der Hochschule Pforzheim am Mittwochabend viel Charme und Witz in seine Analysen ein. Die beiden wissenschaftlichen Leiterinnen des Studium Generale, die Professorinnen Dr. Christa Wehner und Dr. Frauke Sander, freuten sich nicht nur über einen sehr gut gefüllten Walter-Witzenmann-Hörsaal und einige hundert Zuschauer im YouTube-Livestream. Ihnen ist es mit Ernst Ulrich von Weizsäcker auch gelungen, einen Elder Statesman der Umweltpolitik zu engagieren, der blitzgescheit und hellwach ist und zugleich sehr unterhaltsam referiert.
Als einen „Pionier der deutschen Umweltpolitik“ stellt Professorin Dr. Frauke Sander den Ehrenpräsidenten des Club of Rome, Ernst Ulrich von Weizsäcker, zu Beginn dem Publikum vor, der in seinem Vortrag „Eine neue Aufklärung für die volle Welt – 50 Jahre „Grenzen des Wachstums“ von der Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Wandels berichtet und mehr Balance zwischen Wachstum und Klimaschutz fordert. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Reuchlinjahres 2022 in Kooperation mit dem Kulturamt Pforzheim statt.
Die Korrelation zwischen Co2-Konzentration und Temperaturanstieg stellt von Weizsäcker zu Beginn vor, um dem Publikum den evidenten Zusammenhang auch als Argument gegen Leugner des menschengemachten Klimawandels an die Hand zu geben. „Mit guter Naturwissenschaft müssen wir jenen entgegnen, die mit gewissen Interessen ideologisch dagegen argumentieren“, beruft sich von Weizsäcker auf die Fakten. Die Suffizienz, die Genügsamkeit, als Ausweg aus dem Wachstumsparadigma, habe leider niemand auf der Agenda. Doch gerade Wachstum und Anstieg der Co2-Konzentration hingen eng zusammen, und damit die Erderwärmung. „Der marktwirtschaftliche Gedanke, dass das Schnellste und Billigste das Beste ist, ist nachvollziehbar, aber eben auch gefährlich.“
Der promovierte Physiker nahm 1972 einen Ruf der Universität Essen auf einen Lehrstuhl für Biologie an, bevor er wenige Jahre später Präsident der Universität-Gesamthochschule Kassel wurde. Seit Beginn der 1980er Jahre übernahm er Leitungspositionen an verschiedenen zentralen Institutionen der Umweltpolitik wie dem UNO-Zentrum für Wissenschaft und Technologie in New York, dem Institut für Europäische Umweltpolitik und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Von 2012 bis 2018 war er Co-Präsident, heute ist er Ehrenpräsident des Club of Rome. Der Club of Rome wurde 1972 mit seinem schockierenden Buch „The Limits to Growth“ sehr berühmt. „Denn, dass höher, schneller weiter einmal ein Ende haben könnten, passte damals überhaupt nicht in die Köpfe dieser Zeit“, erinnert er sich. Und genau deshalb müsse man etwas tun, müssten politische Heldentaten her. „Schauen wir uns doch an, was seit 1972 geschehen ist. Die Weltbevölkerung ist gewachsen, gleichzeitig sinkt die Zahl der verfügbaren Ressourcen. Das ist ein Teufelskreis“, sagt von Weizsäcker mit Sorgenfalten auf der Stirn. Während sich die Zahl der Menschen verdreifacht habe, sei der Konsum um ein zehnfaches angestiegen. Welche Gefahren davon ausgehen, skizziert von Weizsäcker mit konkreten Beispielen: Ernteausfälle, Flutkatastrophen, Waldbrände und der fortschreitende Anstieg der Meeresspiegel. „Alles Folgen unseres Lebensstils.“
Die seit den 1950er Jahren so volle Welt brauche daher eine neue Aufklärung, fordert von Weizsäcker und wird im zweiten Teil seines Vortrags philosophisch und gleichzeitig hoffnungsvoll. Es sei ein gutes Zeichen, wenn Papst Franziskus 2015 in seiner Enzyklika „Laudato Si“ die großen Gefahren benenne, denen die Schöpfung ausgesetzt sei. „Im Kern schreibt der Papst: Die auf Geiz und totalen Wettbewerb fußende Wirtschaft zerstört unser `gemeinsames Haus´“, so von Weizsäcker. „Das können wir doch nicht wollen.“
Langanhaltender Applaus und zahlreiche Nachfragen aus dem Publikum würdigen den brillanten Vortrag Ernst Ulrich von Weizsäckers und zeigen, dass die Professorinnen Dr. Christa Wehner und Dr. Frauke Sander wieder einmal den Nerv des Publikums getroffen haben.
Das Studium Generale setzt sein Programm mit einem Doppelvortrag an zwei aufeinander folgenden Tagen, am 10. und 11. Mai, fort. Ausnahmsweise an einem Dienstag, 10. Mai um 19 Uhr, findet der wegen Corona verschobene Vortrag „Hitze, Dürre, Starkregen – Sind wir noch zu retten?!” des bekannten Wettermoderators Sven Plöger statt. Einen Tag darauf begrüßen wir mit dem Titel „Luxus: zwischen Exklusivität und Allgegenwärtigkeit“ unseren HSPF-Kollegen Prof. Dr. Fernando Fastoso im Studium Generale.