BADEN-WÜRTTEMBERG, 12.02.2023 (pm) – 2022 hat der Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart 20 Bomben mit einem Gewicht von mindestens 50 Kilogramm unschädlich gemacht (2021: 21). Anders als in den Vorjahren ließen sich 2022 nicht alle Bomben entschärfen: Eine Ende Januar in Mannheim gefundene 500-Pfund-Bombe musste gesprengt werden und auch ein sogenannter „Zerscheller“ – eine im Krieg nicht vollständig detonierte Bombe – in Großbottwar (Landkreis Ludwigsburg) konnte Mitte März nicht entschärft, sondern musste in einem nahegelegenen Waldstück gesprengt werden.
Regierungspräsidentin Susanne Bay sagte: „Auch im vergangenen Jahr haben die Expertinnen und Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Baden-Württemberg einen bedeutenden Beitrag zur Sicherheit im Land geleistet. Die Zahlen aus dem Vorjahr zeigen, wie unverzichtbar und wichtig ihre Arbeit selbst 77 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs noch ist. Mit großer Sorgfalt und enormen Know-How rückt das Team fast täglich aus und ist rund um die Uhr verfügbar. Ich bin sehr dankbar für den beeindruckenden Einsatz der Mitarbeitenden des KMBD – ebenso gilt mein Dank der Polizei, der Feuerwehr und den Hilfsorganisationen für die stets gute Zusammenarbeit bei Entschärfungen und Sprengungen.“
Eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten ist eine Grundvoraussetzung, wenn etwa Bomben in Wohngebieten entschärft oder gesprengt werden. Oft müssen dabei tausende Anwohnerinnen und Anwohner mehr oder weniger spontan ihr Zuhause verlassen und für einige Stunden anderweitig unterkommen. So wurden beispielsweise im Dezember in Heidelberg binnen einer Woche gleich zwei Bomben auf derselben Baustelle gefunden. Während die erste Entschärfung bis zum nächsten Morgen warten konnte, musste die zweite sofort entschärft werden.
Durch die voranschreitende Materialermüdung der Kampfmittel (Zünderteile, Sprengstoffe) nimmt das Gefahrenpotenzial und das Risiko der Selbstdetonationen immer weiter zu. „Im Laufe der Jahre steigt die Gefahr der vorhandenen Kampfmittel, oft ist es dann nicht mehr möglich, diese zu entschärfen. Deshalb muss zukünftig mit einer erhöhten Anzahl von Vernichtungssprengungen vor Ort gerechnet werden“, erklärte Regierungspräsidentin Bay.
Insgesamt rückte der KMBD im Jahr 2022 851 Mal (2021: 914) aus, um sogenannte Fundmunition zu bergen und abzutransportieren oder um sie vor Ort zu sprengen. Mehr als 21 Tonnen Kampfmittel (genau 21.375 Kilogramm) wurden so aus Böden und Gewässern entfernt und einer ordnungsgemäßen Vernichtung zugeführt (2021: 25.174 kg). Der KMBD suchte im vergangenen Jahr Flächen von rund 71.955 Quadratmetern nach Kampfmitteln ab. Das entspricht der Größe von etwa neun Fußballfeldern.
„So professionell und erfahren der KMBD ist – die Arbeit ist und bleibt enorm gefährlich“, so Regierungspräsidentin Bay. Deshalb bittet sie die Bevölkerung, aufgefundene Kampfmittel und Munition sofort über den Notruf 110 der Polizei zu melden. „Beim Auffinden dürfen die Gegenstände nicht angefasst, nicht bewegt und auf keinen Fall mitgenommen werden. Bitte rufen Sie die Polizei, die anschließend den KMBD alarmiert“, betonte Bay. Kosten entstehen der Finderin oder dem Finder beziehungsweise der Grundstückseigentümerin oder dem Grundstückseigentümer für den Einsatz des KMBD nicht.
Neben der Gefahr, die von Bomben ausgeht, sowie den Herausforderungen einer Bombenbergung darf auch die Gefahr, die von Kleinmunition ausgeht, nicht unterschätzt werden. Gerade solche Munition wurde vielfach in Kampfhandlungen verwendet. Sie kann ein unvorhersehbares Risiko bergen und sorgt für die meisten Unfälle bei der Kampfmittelräumung. Munition mit vorgespannten Zündsystemen, die oftmals vor Ort als nicht transportfähig eingestuft wird, wird mit den Jahren immer gefährlicher und unsicherer in der Handhabung. In diesen Fällen ist es erforderlich, dass das Kampfmittel vor Ort gesprengt wird. Hier sind dann, wie bei Bombenentschärfungen, Absperrungen und Evakuierungen notwendig, um die Sprengung ohne Gefährdung Dritter durchzuführen.
Eine weitere wichtige Aufgabe des KMBD ist die Vernichtung von Waffen und Munition, die vor allem von den Polizeidienststellen und Waffenbehörden im Land angeliefert wird. Dabei handelt es sich um Gegenstände, die bei den Behörden abgegeben oder von diesen eingezogen wurden. 2022 kamen so über 21 Tonnen Waffen (genau 21.042 Kilogramm) zusammen; das entspricht fast 15.000 Waffen und verbotenen Gegenständen nach dem Waffengesetz (genau 14.613). Hinzu kamen fast neun Tonnen Munition (8.715 Kilogramm). Im Vorjahr 2021 waren es 26.370 Kilogramm Waffen und 6.876 Kilogramm Munition gewesen.
Die Luftbildauswerterinnen und Luftbildauswerter des KMBD waren 2022 ebenfalls gut beschäftigt. Mithilfe von über 117.000 Luftbildern der Alliierten konnten sie 1.188 Luftbildauswertungen durchführen und so den Bauherren und Bauunternehmen, Ingenieurbüros und Kommunen Auskunft darüber erteilen, ob auf den untersuchten Flächen mit dem Auffinden von Kampfmitteln zu rechnen ist oder nicht. Insgesamt gingen im Jahr 2022 1.228 solcher Anträge beim KMBD ein (2021: 1.581).
Hintergrundinformationen:
Im Zweiten Weltkrieg fielen etwa 1,35 Millionen Tonnen Abwurfmunition auf das Gebiet des damaligen Deutschen Reiches. Alleine auf das Land Baden-Württemberg entfielen rund 100.000 Tonnen Abwurfmunition. Hiervon detonierten etwa 10 bis 15 Prozent nicht, sodass noch etliche Bombenblindgänger in Baden-Württembergs Böden zu vermuten sind. Bombenblindgänger und auch andere Kampfmittel in Böden und Gewässern können lebensgefährlich sein.
Darüber hinaus befinden sich unzählige Kampfmittel aus Bodenkampfhandlungen, der unsachgemäßen Entledigung, dem Übungsbetrieb und letztendlich aus der Produktion sowie der Vernichtung in den Nachkriegsjahren in Böden und Gewässern. Um die Kampfmittel, die sich noch im Erdreich befinden, zu bergen und unschädlich zu machen, werden noch Jahrzehnte benötigt. Um diese gegenwärtigen Gefahren zu beseitigen, unterhält das Land Baden-Württemberg beim Regierungspräsidium Stuttgart den Kampfmittelbeseitigungsdienst, der für das gesamte Landesgebiet Baden-Württembergs zuständig ist, um aufgefundene Kampfmittel zu bergen, entschärfen und vernichten.
Kampfmittel aus dem zweiten Weltkrieg, seien es Granaten, Patronen, Minen oder auch Bomben, die über den Industriezentren Baden-Württembergs wie Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Heilbronn, Friedrichshafen und Ulm abgeworfen wurden, aber nicht detoniert sind, stellten – und stellen bis heute – eine erhebliche Gefährdung für die Bevölkerung dar. Wann immer Blindgänger gemeldet werden oder Bauvorhaben auf Geländen anstehen, die über die Luftbildauswertung als besonders gefährdet für diese Altlast gelten, kommt der Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) zum Einsatz.
1946 wurden erstmals Sprengkommandos eingesetzt, die mit Fachleuten besetzt waren und so eine fachgerechte Beseitigung der Munition gewährleisteten. Hieraus entstand der KMBD. Zum 1. Mai 1971 wurde die Zuständigkeit auf das Regierungspräsidium Stuttgart übertragen. Das dortige Referat 16 ist zuständig für alle vier Regierungsbezirke in Baden-Württemberg. Der Einsatzbereich reicht von der Entschärfung von Kampfmitteln über die Beförderung geborgener Kampfmittel bis hin zur Vernichtung und der anschließenden Verwertung des angefallenen Materials. Die Einlagerung der geborgenen Munition erfolgt, bis zur endgültigen Vernichtung, im Munitionslager des KMBD.
Nicht alle Bomben lassen sich entschärfen. Dies betrifft vor allem Bomben mit sogenannten Langzeitzündern. Derartige Bomben werden dann kontrolliert zur Detonation gebracht. Neben der Entschärfung von Bomben und der Vernichtung der Kriegsmunition kümmert sich der KMBD auch um die Vernichtung von abgegebenen Waffen, deren Munition und verbotene Gegenstände nach dem Waffengesetz. Ein Großteil der zu vernichtenden Waffen ergibt sich aus jenen, die freiwillig von Bürgern bei den Polizei- oder Waffenbehörden abgegeben werden. Die gesammelten Waffen werden vom KMBD in eigenen Vernichtungsöfen ausgebrannt und anschließend zur Einschmelzung verbracht.
Derzeit sind 33 Mitarbeitende beim KMBD beschäftigt – darunter acht Feuerwerkerinnen und Feuerwerker, dreizehn Munitionsarbeiter und sechs Luftbildauswerterinnen und -auswerter. Bis zu acht Teams rücken täglich aus, um Blindgänger und Munition des Zweiten Weltkrieges zu bergen. Ein Rufbereitschaftsdienst stellt die Einsatzfähigkeit abends, nachts und an Wochenenden und Feiertagen sicher. Leiter des KMBD ist Ralf Vendel, vertreten wird er durch Mathias Peterle. Der KMBD ist Teil des Referats 16 „Polizeirecht, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Rettungsdienst, KMBD“ des Regierungspräsidiums Stuttgart.