PraxenKollaps – Praxis weg – Gesundheit weg

Massiver Fachkräftemangel gefährdet Praxisbetrieb

bei Georg Kost

Das Gesundheitswesen kränkelt. Symbolfoto: infopress24.de

STUTTGART, 15. August 2023 (pm) – Der eklatante Fachkräftemangel gefährdet zunehmend den Betrieb von Arztpraxen und die ambulante medizinische Versorgung.
Darauf machen die Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigung Baden Württemberg (KVBW), Dr. Karsten Braun und Dr. Doris Reinhardt, aufmerksam: „Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten ist inzwischen in der Bevölkerung und in der Politik angekommen.
Dabei wird leider nicht berücksichtigt, dass in gleichem Maße auch nicht-ärztliches medizinisches Fachpersonal, insbesondere Medizinische Fachangestellte, fehlen. Uns erreichen immer häufiger Meldungen aus den Praxen, dass Praxisgründungen oder -erweiterungen an fehlenden MFA scheitern.“
In einer Befragung des Zentralinstituts für die ambulante Versorgung (ZI) gaben 85 Prozent der Praxen an, dass sie die Verfügbarkeit von MFAs auf dem regionalen Arbeitsmarkt als schlecht oder sehr schlecht einstufen, 46 Prozent erhalten auf eine Stellenanzeige keine Bewerbung. Die berufsspezifische Arbeitslosenquote beträgt nur 1,9 Prozent. Das hat Folgen für den Praxisbetrieb und somit auch für Patientinnen und Patienten: Öffnungszeiten werden reduziert, auch Leistungskürzungen sind aufgrund des Personalmangels oft nicht zu vermeiden.

„Wenn Öffnungszeiten reduziert werden müssen, dann steht weniger Versorgungszeit zur Verfügung, das ist für alle Beteiligten bitter, aber aufgrund des Personalmangels oft nicht zu vermeiden“, verdeutlichen die KVBW-Vorstände.
Aus Sicht des Vorstandes habe sich die Situation des Fachkräftemangels in den letzten Jahren deutlich verschärft. Dafür seien verschiedene Gründe ausschlaggebend.
„Immer mehr Medizinische Fachangestellte wandern in andere Bereiche des Gesundheitswesens wie Kliniken, Krankenkassen und Behörden ab, wo höhere Gehälter gezahlt werden. Zwar sind höhere Gehälter für die Pflegekräfte in Kliniken oder in Pflegeheimen mehr als zu begrüßen. Aber dann muss auch in den Praxen entsprechend nachgelegt werden, sonst wird die ambulante Versorgung gefährdet.
Die aktuellen Vergütungsregelungen für die Praxen bilden das nicht ab.“ Die KVBW-Vorstände betonen, dass in den Praxen die Hauptlast der Versorgung getragen werde. „Für großen Unmut in den Praxisteams hat dabei gesorgt, dass im Rahmen der Pandemie zwar die Leistung der Pflegekräfte in den Krankenhäusern und Pflegeheimen ausführlich gewürdigt wurde und auch finanziell durch Sonder-Boni anerkannt wurde, die MFA hierbei aber nicht berücksichtigt wurden. Wertschätzung sieht anders aus!“

Bei der Bewältigung der Pandemie haben die MFA einen unschätzbaren Beitrag geleistet, betont Dr. Doris Reinhardt, stellvertretende Vorstandsvorsitzende: „Sämtliche Wirren der Pandemiebekämpfung haben sich unmittelbar an den Tresen in den Praxen abgespielt. Dazu zählten die Unsicherheit über die geltenden Regelungen, die teilweise aggressiv geführten Diskussionen mit Impfgegnern, Maskenverweigerern und Corona-Leugnern und der bürokratische Aufwand rund um die Impfdokumentation und Tests.“ Leider sei auch nach der Pandemie die Belastung des Praxispersonals hoch. „Die Versorgungprobleme machen sich bei den MFA bemerkbar. Sie müssen immer mehr Aufwand betreiben, um Weiterbehandlungstermine in anderen Praxen zu bekommen.
Die fehlenden funktionierenden digitalen Anwendungen führen zudem dazu, dass der bürokratische Aufwand steigt. Und die Toleranzschwelle seitens der Patientinnen und Patienten sinkt stetig. Gerade die MFA benötigen daher dringend Entlastungen, was Bürokratie und Digitalisierung betrifft.“

Trotz der Rahmenbedingungen machen die beiden KV-Vorstände Werbung für den Beruf, der echte Karrierechancen biete. „MFA können sich heute vielfältig weiterbilden und beispielsweise beim Praxismanagement, der Patientenversorgung und bei der Durchführung von Hausbesuchen unterstützen“, erläutert Vorstandsvorsitzender Dr. Karsten Braun.
Der Fachkräftemangel betrifft auch die Ärzte. „Es rücken viel zu wenig Studierende nach, um die ausscheidende Baby-Boomer-Generation zu ersetzen. Das führt vor allem im hausärztlichen Bereich zu einem großen Mangel“, betont Braun. Zum Vergleich: In den 1990er Jahren, zu Zeiten der so genannten „Ärzteschwemme“, gab es jährlich knapp 12.000 Medizinabsolventen, 2021 waren es dagegen nur 10.320. Gleichzeitig steigt seit einigen Jahren die Zahl der in Teilzeit tätigen Ärztinnen und Ärzte. Auch der Trend zur Anstellung hält weiter an. „Geht eine Ärztin in den Ruhestand, brauchen wir heute zwei bis drei Ärzte, um die gleiche Arztzeit zu generieren“, verdeutlicht Reinhardt. In Baden-Württemberg hat dies zur Folge, dass die Zahl der hausärztlich Niedergelassenen seit 2013 um 69 Köpfe gefallen ist.

Der ambulante Bereich steht zudem im harten Wettbewerb mit den Krankenhäusern, die in diesem Jahr durch kräftige Tarifsteigerungen punkten konnten. „Dass diese angemessen sind, steht außer Frage. Es erhöht jedoch den Druck auf die ambulante Versorgung und die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen“, so Braun. Die KVBW Vorstände fordern deshalb: „Die Wettbewerbsverzerrung durch unterschiedliche Vergütungsanpassungen muss ein Ende haben. Der ambulante Bereich braucht Planbarkeit und Verlässlichkeit, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Dazu gehört ein entsprechendes Ergebnis in den Finanzierungsverhandlungen und die Entbudgetierung. Verlässliche gute Vergütung für alle Angestellten im Praxisteam ist die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Patientenversorgung.“

Die KVBW veröffentlicht diese Pressemitteilung im Rahmen der bundesweiten Aktion aller Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) unter dem Titel „PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg!“, um auf die akut gefährdete Situation der ambulanten Versorgung aufmerksam zu machen. Hintergrund sind die Finanzierungsverhandlungen auf Bundesebene, die am 9. August gestartet sind. Höhepunkt der Aktion wird am 18. August eine gemeinsame Krisensitzung der Vertreterversammlungen aller Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
(KBV) in Berlin sein. Es werden ärztliche und psychotherapeutische Vertreterinnen und Vertreter aus ganz Deutschland erwartet.