BÖBLINGEN/CALW/ENZKREIS, 15.05.2024 (pm) – Anfang Juni gehen Menschen in ganz Baden-Württemberg und in der ganzen Europäischen Union an die Wahlurne. Man beschäftigt sich mit politischen Inhalten, Wahlprogrammen, Personen, Parteien und Gruppierungen. Doch was in der Kabine eigentlich auf die Wählerinnen und Wähler genau zukommt und wie aus den Stimmen Sitze und Mandate ermittelt werden, wissen in der Regel nur die Profis.
Stimmzettel ausfüllen
Panaschieren, kumulieren, Sperrklausel, Sitzzuteilungsverfahren und und und. Ja, Kommunalwahlen sind kompliziert. Nicht nur für die Stadtverwaltung, welche die Wahlen weitestgehend organisiert. Auch die Wählerinnen und Wähler müssen sich durch einen Urwald an Wortungetümen kämpfen. Gerade für Erstwähler ist das eine große Herausforderung. Von ihnen gibt es 2024 besonders viele. Denn in diesem Jahr dürfen auch 16-Jährige mitentscheiden, wer etwa in den Gemeinde- und Ortschaftsrat, den Kreistag, die Regionalversammlung und das Europaparlament einzieht.
Eine Übersicht der wichtigsten Begriffe:
Kumulieren
Kumulieren ist ein Wahlverfahren und bedeutet so viel wie „anhäufen“. Die Wahlberechtigten haben die Möglichkeit, bis zu drei Stimmen auf eine Bewerberin oder einen Bewerber anzuhäufen. Dabei verfügen die Wählenden in Leonberg zum Beispiel über 32 Stimmen für die Gemeinderatswahl, also so viele wie Gemeinderatsmitglieder zu wählen sind.
Panaschieren
Auch panaschieren ist ein Wahlverfahren, es bedeutet so viel wie „bunt verteilen“. Die Wählerinnen und Wähler können dadurch mehrere Stimmen auf die kandidierenden Personen verschiedener Parteien verteilen, also in einem Wahlvorgang einzelne Politikerinnen oder Politiker verschiedener Parteien unterstützen.
Zudem sind auf jedem Stimmzettel unten noch freie Zeilen vorhanden. In diese Zeilen können Kandidatinnen und Kandidaten von anderen Stimmzetteln notiert werden. Diese erhalten dann ebenfalls eine Stimme. Falls diese Kandidatinnen und Kandidaten mehrere Stimmen erhalten sollen, muss diese Zahl in das Kästchen auf der rechten Seite der Zeile geschrieben werden. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, das nur ein Stimmzettel abgegeben werden muss.
Ein Beispiel
Ein frei erfundenes Beispiel für panaschiertes und kumuliertes wählen: Frau Mustermann hat 32 Stimmen. Davon verteilt sie 30 Stimmen, je drei auf zehn Kandidierende der CDU (kumuliert). Zugleich gab sie ihrem Nachbarn, der im Haus gegenüber wohnt und auf der SPD-Liste steht, eine Stimme. Die Freundin des Sohnes kandidierte auf der grünen Liste und bekam als Einzige ihrer Couleur von Frau Mustermann ihre letzte verbliebene Stimme (beides panaschiert).
Sperrklausel
Bei Bundestagswahlen sprechen Expertinnen und Experten von der Fünf-Prozent-Hürde. Bedeutet: Parteien, die weniger als fünf Prozent der Stimmen erhalten, ziehen nicht in den Bundestag ein. Ähnliche Gesetze gab es auch für Kommunalwahlen, die grundsätzlich Ländersache sind und sich deshalb auch von Bundesland zu Bundesland unterscheiden können. Sperrklauseln bei Kommunalwahlen gibt es in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern allerdings nicht mehr.
Sitzzuteilungsverfahren
In Baden-Württemberg wird das sogenannte Sainte-Laguë-Verfahren angewendet. Mit diesem Verfahren wird anhand der Abstimmung der Bürgerinnen und Bürger ermittelt, wie viele Sitze welchen Parteien und Gruppierungen zugeordnet werden. Die Berechnungsverfahren sind kompliziert. Wichtig zu wissen ist, dass damit Wählerstimmen sehr präzise in Mandate für Abgeordnete umgerechnet werden können und insbesondere kleine Gruppierungen und Einzelkandidaten nicht benachteiligt werden Ein anderes Sitzzuteilungsverfahren ist beispielsweise das Hare/Niemeyer-Verfahren. Es berechnet die Verteilung mit Quoten wird etwa in Brandenburg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern angewendet.
Die Liste der Fachbegriffe ließe sich unendlich erweitern. Wichtig ist jedoch, dass beim Wähler oder bei der Wählerin Klarheit und Orientierung herrschen – egal ob in der Wahlkabine oder am Esstisch mit vorgelegten Briefwahlunterlagen.
Ob und wie sie die Stimmen verteilen, bleibt ihnen überlassen.
Definition
Die unechte Teilortswahl ist ein Wahlsystem, bei dem die Kandidaten in verschiedenen Wahlkreisen (Teilorten, Wohnbezirken) kandidieren. Gewählt werden die Kandidaten aber von Wählern aller Teilorte (daher unechte Teilortswahl).
Die Kandidaten treten in verschiedenen Wahlbezirken (Wahlkreisen, …) an, eine entsprechende Einteilung auf Seiten der Wähler gibt es aber nicht (daher unecht). Die Unechte Teilortswahl ist also, unecht, denn alle Wähler haben unabhängig vom Wahlkreis das gleiche Stimmrecht. eine Wahl in Teilorten, denn die Kandidaten treten in verschiedenen Wahlbereichen zur Wahl an.
Ungleiche Wahl
Die Wahl ist für die Wähler insoweit gleich, daß alle Wähler die gleiche Wahl haben. Für die Kandidaten verschiedener Teilorte ergeben sich dagegen je nach Teilort unterschiedliche Erfolgschancen.
Beispiel
In einer Gemeinde sind zwölf Gemeinderatssitze zu vergeben. Zur Wahl wurden drei Wahlvorschläge (A, B und C) zugelassen. Insgesamt wurden 13.000 gültige Stimmen abgegeben. Wahlvorschlag A erhielt 6.000, Wahlvorschlag B 4.000 und Wahlvorschlag C 3.000 Stimmen. In den Klammern steht die Reihenfolge der Höchstzahlen, nachdem die Gesamtstimmenzahl durch den jeweiligen Teiler (1, 3, 5 usw.) geteilt wurde.
Das Beispiel zeigt, dass dieses Verfahren tendenziell vorteilhaft ist für Wahlvorschläge mit geringeren Gesamtstimmenzahlen. Denn obwohl Wahlvorschlag C nur die Hälfte der Stimmen von Wahlvorschlag A erhalten hat, darf er drei Vertreter in den Gemeinderat entsenden, A aber nicht sechs, sondern lediglich fünf. Und auch B mit vier Vertretern hat verglichen mit den Stimmenzahlen eine „Überrepräsentation“ im Gemeinderat gegenüber Wahlvorschlag A aufzuweisen.
Stehen die Sitzzahlen für die jeweiligen Wahlvorschläge fest, ist gemäß § 26 KomWG in einem zweiten Schritt die „Unterverteilung“, also die Verteilung der Sitze auf die Kandidierenden des jeweiligen Wahlvorschlags durchzuführen. Hierfür ist die von den einzelnen Kandidierenden erreichte Stimmenzahl entscheidend. Im obigen Beispiel würden also für Wahlvorschlag A die fünf Bewerber aus Wahlvorschlag A mit den höchsten Stimmenzahlen einziehen. Sollten mehrere Bewerber eines Wahlvorschlags dieselbe Stimmenzahl erhalten haben, entscheidet die Reihenfolge der Benennung im Wahlvorschlag: wer auf der Liste weiter oben steht, erhält in diesem Fall den Sitz zugeteilt. Diejenigen Kandidierenden, denen kein Sitz zugeteilt wird, werden in der Reihenfolge ihrer Stimmenzahlen als Ersatzpersonen des Wahlvorschlags festgestellt. Ersatzpersonen kommen dann zum Zug, wenn die gewählten Bewerber wegen Hinderungsgründen ihr Amt nicht antreten dürfen oder nachträglich aus dem Gemeinderat ausscheiden.
Quelle: Jürgen Fleckenstein (2014): Das Kommunalwahlsystem – Handbuch Kommunalpolitik + Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg