BÖBLINGEN, 27.08.2022 (pm) – Am Mittwochabend 24. August ist von der ARD der „Fall Bruckner“ wiederholt worden. Viele Menschen haben zugeschaut und emotional Anteil genommen: Katharina Bruckner alias Corinna Harfouch als Frau vom Jugendamt, die für den kleinen Joe und seine Mutter die Weichen für eine bessere Zukunft stellt. Katharina Bruckner steht für viele in dieser Gesellschaft.
Bundesweit sind mehr als 17.000 Bezirkssozialarbeiter/-innen in den Allgemeinen Sozialen Diensten der Jugendämter beschäftigt – rund 70 davon im Landkreis Böblingen.
Häufig redet man in der Öffentlichkeit nur dann über ihren Beruf, wenn es schlecht läuft, wenn Kinder trotz Hilfen zu Schade kommen. Damit gerät aus dem Blick, welch vielfältige und oft erfolgreiche Unterstützung für Kinder, Jugendliche und Familien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Allgemeinen Sozialen Dienste leisten. Sie beraten Mütter, Väter und alle Personen mit Erziehungsfragen, sie organisieren alltagspraktische Hilfen und Entlastung für Familien, sie fördern Kinder in ihrer Entwicklung – oder sorgen im Zweifelsfall wie bei Joe zeitweilig auch für den notwendigen Schutz von Kindern. Das Spektrum an Problemen, auf die der ASD tagtäglich Antworten sucht, ist dabei breit: ratlose Eltern, Familienkrisen, Schulprobleme, Gewalt, Alkohol- und Drogensucht.
„Wir wissen, dass Eltern in der Regel das Beste für ihre Kinder wollen. Nur manchmal ist der Alltag, die eigene Biografie so belastend, dass Erziehung alleine nicht gelingt. Häufig hilft es dann, jemanden an seiner Seite zu haben. Deshalb setzen wir auch bei Problemen alles in erster Linie daran, die Eltern in ihrer Erziehung zu stärken und zu unterstützen und mit ihnen gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Wir sind ihre Partner in Erziehungsfragen“, erläutert Alperi Tiryaki, die den Sozialen Dienst in Böblingen leitet.
Die Sozialen Dienste der Jugendämter haben die Aufgabe, Eltern und ihre Kinder dort zu
unterstützen, wo Hilfe notwendig ist. Dies erfolgt vor allem durch beratende und unterstützende Hilfen bei der Erziehung, wie etwa in Form einer ambulanten Familienhilfe. Auf diese Hilfe sind zunehmend mehr Familien angewiesen: Rund 963.000 Hilfen zur Erziehung haben die Jugendämter 2020 bundesweit geleistet, 11% mehr als noch 2010. Auch in der Pandemie wurden diese tendenziell eher fortgeführt als beendet. Mehr als zwei von drei dieser Hilfen werden in der Familie erbracht. Die Hilfen familiennah und ambulant zu erbringen ist auch ein wichtiges Ziel im Landkreis Böblingen. Hier im Landkreis liefen zum letzten Jahreswechsel rund 1.250 Hilfen zur Erziehung für Kinder, Jugendliche, ganze Familien und für junge Volljährige.
Wann aber ist Unterstützung und Hilfe in der Familie noch aussichtsreich? Und wann ist der Punkt erreicht, wo Sicherheit und Schutz des Kindes eine zumindest vorübergehende Trennung von den Eltern erfordern? Und welche Risiken wiederum bringt die Trennung von den Eltern für den weiteren Lebensweg des Kindes?
Alle sind sich einig: Kinder und Jugendliche bedürfen des Schutzes durch die Gesellschaft. Doch welcher Weg im Einzelfall der richtige ist, diese Frage verlangt den Sozialarbeiterinnen und –arbeitern im Jugendamt im Einzelfall schwierige Abwägungsprozesse ab. Kinderschutz ist eben kein Kinderspiel! „Wir versuchen uns immer ein möglichst umfassendes Bild zu machen und vielfältige Perspektiven einzunehmen. Besonders wichtig ist der enge Austausch mit der ganzen Familie, um die es geht. Alleine kann man eine solche Entscheidung oft gar nicht treffen, schließlich haben sie weitreichende Folgen für die Lebensläufe der Kinder. Die Beratung jedes einzelnen Falls mit den Kollegen und Kolleginnen ist deshalb unverzichtbarer Bestandteil unserer täglichen Arbeit“, erläutert Alperi Tiryaki.
Und auch hier erhöhen steigende Fallzahlen die Belastungen für die Fachkräfte der Allgemeinen Sozialen Dienste: Im Jahre 2020 wurden seitens der Jugendämter bundesweit in fast 200.000 Fällen geprüft, ob ein Kind gefährdet ist und ob akute Maßnahmen zu seinem Schutz ergriffen werden müssen.
Im Landkreis Böblingen fanden im ersten Halbjahr 2022 bereits mehr als 80 solcher Prüfungen statt. Bei dem Großteil der Fälle bestand ein Unterstützungsbedarf von Seiten der Familien. Eine akute Gefährdung wurde allerdings nur in 6 % der Fälle festgestellt. Bei rund 60 % der Fälle konnte die Gefährdung durch das Finden einer passenden Unterstützung abgewendet werden.
Was braucht der ASD, um diese schwierige Arbeit so erfolgreich schultern zu können wie Katharina Bruckner? Alperi Tiryaki hat darauf eine klare Antwort: „Wir brauchen genügend und gut qualifiziertes Personal, das durch Beratung, Fortbildung und ein stabiles Team in dieser schwierigen Aufgabe ausreichend unterstützt wird. Und wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, für die das Jugendamt nicht Drohkulisse, sondern unverzichtbarer Partner im Kinderschutz ist und die Eltern ermutigen und bestärken, sich bei Fragen und Problemen auch hier Hilfe zu suchen. Denn das ist oft schon der erste Schritt zur Lösung.“