Religionsfreiheit: Ein Menschenrecht, das verkannt wird?

bei Georg Kost

Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit referierte zu Religionsfreiheit. Foto: Cornelia Kamper / Hochschule Pforzheim

PFORZHEIM, 13.12.2022 (pm) – Jeder Mensch hat das Recht auf Religionsfreiheit und die Freiheit, diese Religion auszuüben – so Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Warum das Recht der Religionsfreiheit trotzdem so oft hinterfragt und v.a. warum es zu Unrecht in Frage gestellt wird, darüber sprach Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt, Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sein Vortrag “Verkanntes Menschenrecht? Aktuelle Auseinandersetzungen um die Religionsfreiheit” (am 7. Dezember) war zugleich der letzte Studium Generale Vortrag des Wintersemesters an der Hochschule Pforzheim sowie ein weiterer Beitrag zum Reuchlinjahr 2022.13

Reuchlin ist in der Ahnengalerie der Religionsfreiheit ganz fest verankert – bereits im Jahr 1510 verfasste der Humanist ein Gutachten, in dem er darlegte, warum jüdische Schriften nicht verbrannt werden sollten. Auch Heiner Bielefeldt macht sich für das Recht auf Religionsfreiheit stark, nicht nur als Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik. Vor allem in seiner Rolle als UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit (von 2010 bis 2016), hat er zahlreiche Verletzungen des verkannten Menschenrechts miterlebt. In Bangladesch, Zypern, Dänemark, Jordanien, dem Libanon sowie vielen weiteren Ländern hat er beobachtet, dass es ein Privileg sein kann, seine Religion auszuleben. „Exekutionen gibt es auch im 21 Jahrhundert noch, ich kenne da zum Teil unglaubliche Geschichten“, beginnt der Redner seinen Vortrag im Audimax, dessen Besucher gespannt lauschen. Die Missverständnisse und Verdrehungen der Religionsfreiheit sollen zentrales Thema in seinem Vortrag werden. „In meiner Zeit als UN-Sonderberichterstatter enthielten viele Interviews die folgende Formulierung: Menschenrechte ODER die Religionsfreiheit – mit dieser Formulierung wird die Religionsfreiheit jedoch aus dem Menschenrechtskontext herausgedrängt oder herausgezogen“, so Bielefeldt. Dies sei auf ein mangelndes Verständnis der Interviewer zurückzuführen – oft schwinge mit, die Religionsfreiheit passe nicht so recht in die aufgeklärte Gesellschaft.

Die Verdrehung von Religionsfreiheit beginnt oft, indem man ihre Wertigkeit innerhalb des Menschenrechtskatalogs in Frage stellt: fälschlicherweise werde hier verglichen, sie stelle Gott ins Zentrum, anstatt den Menschen, es ginge um die Unterwerfung unter Autoritäten statt um die Freiheit der Menschen, und eine Kultur der Aufklärung passe nicht mit den vermeintlichen „Dunkelmännern“ in Religionsgemeinschaften zusammen. „Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, das besonders platt ist: wenn die Saudis sich in der Uno zu Wort melden und von Religionsfreiheit als Menschenrecht sprechen, lassen sie Freiheit einfach weg. Sie sprechen nur vom „Recht auf Religion“ („the right to religion“), der entscheidende Punkt ist aber, dass es „das Recht auf Religionsfreiheit“ („the right to FREEDOM of religion“) heißt. Die Freiheitskomponente wird einfach weggelassen“, veranschaulicht der Theologe, Philosoph und Historiker seinen Unmut an einem Beispiel. Er erläutert die drei Arten von Verdrehungen, die es der Religionsfreiheit so schwer machen, sich zwischen den anderen Menschenrechten zu behaupten.

Zum einen würde die Religionsfreiheit fälschlicherweise als Bekämpfung von Religionsdiffamierung verstanden. Im Ergebnis scheinen Religions- und Meinungsfreiheit Gegensätze darzustellen, zwischen denen man wählen müsse. Auch innerhalb der Vereinten Nationen hätten zahlreiche Debatten zum Thema stattgefunden, die unter dem Schlagwort der „Diffamierung“ von Religion jegliche Religionskritik zurückgewiesen hätten. Die dänischen Mohammed-Karikaturen seien nur ein Beispiel. Eine Definition von Religionsfreiheit ist an dieser Stelle umso wichtiger. „Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, das heißt sie schützt Menschen (in ihrer Würde und Freiheit), nicht aber die Ehre Gottes – das ist kein sinnvoller Gegenstand der Religionsfreiheit! Wenn man davon ausgeht, Gott brauche einen Schutz von menschlichen Wesen gemacht, ist das blasphemisch“, führt der Wissenschaftler aus. Wichtig hierbei sei die Erkenntnis, dass es Religion nur im Plural gebe. Die eine Religion zu schützen, funktioniere nicht, ohne andere zu diskriminieren. Die Ehre Gottes sei somit kein sinnvoller Gegenstand der Religionsfreiheit. Der Professor definiert den Kern der Religionsfreiheit wie folgt: „Alle Religionen werden von Menschen geglaubt oder bezweifelt, praktiziert oder ignoriert, es sind immer die Menschen im Mittelpunkt. Dies ist ganz entscheidend bei Menschenrechten. Die Würde des Menschen ist hier der zentrale Begriff, der geschützt werden muss. Wenn man das ernst nimmt, gilt sie nicht nur als Privileg der Frommen, sondern auch der Atheisten.“

Eine weitere Verzerrung des Menschenrechts stellt die Subsumption unter die Bekämpfung von Rassismus dar. Die große Gefahr besteht darin, dass man Religion als kollektives, unveränderbares Merkmal sieht, ähnlich ethnischer Merkmale – somit werden Glaubenswechsel ausgeschlossen. „Religionsfreiheit soll die Menschen in den Stand versetzen, sich auch mit Fragen des Glaubens kritisch und eigenständig auseinanderzusetzen sowie ihre Glaubenspositionen zu verändern“, berichtigt Bielefeldt diese Verdrehung des Menschenrechts. Pluralität, auch innerhalb der Religionsgemeinschaften, sei eine ganz entscheidende Funktion der Religionsfreiheit. Zu guter Letzt führt er die Kulturkämpfe gegen Genderideologie ein und bezieht dabei Position zugunsten der Religionsfreiheit, deren freiheitsrechtlichen Kern er gegen Missverständnisse und ideologische Instrumentalisierungen herausstellt. „In vielen anderen Ländern sind familienrechtliche Fragen rein konfessionell geregelt, wenn der Staat allerdings religiöse Normen durchsetzt, ist dies nicht zielführend.“

Ist die Religionsfreiheit heute ein überholtes Menschenrecht?
Die Antwort des ehemaligen UN-Sonderberichterstatters ist ganz klar: nein! Die Religionsfreiheit sei ein unverzichtbares Menschenrecht und dürfe nicht außerhalb der menschenrechtlichen Matrix gesehen werden, denn „ohne Religionsfreiheit würde eine ganz entscheidende Dimension des Menschseins fehlen. Nämlich, dass wir lebenstragende Überzeugungen haben und jene ausleben dürfen. Das ist ein Bestandteil der conditio humana“, beendet der Menschenrechtler seinen Vortrag.  Ohne Religionsfreiheit, so seine These, wären die Menschenrechte also gar nicht im vollen Sinne menschlich. Deshalb gehöre die Religionsfreiheit auch nicht zu den „Dunkelmännern“, jenen sollten wir sie auch nicht überlassen.