Enzkreis Bürgermeisterreise in die Provinz Reggio Emilia  

bei Georg Kost

„Wir liegen auf einer Wellenlänge“: Landrat Bastian Rosenau (rechts) und sein Amtskollege Giorgio Zanni, die sich über das 30-jährige Jubiläum der Partnerschaft zwischen dem Enzkreis und der Provinz Reggio Emilia freuen. Foto: LRA Enzkreis, Sabine Burkard

ENZKREIS, 04.05.2023 (enz) – „Es gibt ja bekanntlich viele gute Gründe, nach Bella Italia zu reisen. In unserem Falle waren es das 30-jährige Jubiläum der Partnerschaft zwischen dem Enzkreis und Reggio Emilia, aber auch zahlreiche andere Themen, die die Kommunen beider Seiten beschäftigen und bei denen wir voneinander lernen können.“ So umriss Landrat Bastian Rosenau die Zielsetzung einer dreitägigen Fachexkursion, die ihn gemeinsam mit 18 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus dem Enzkreis in die norditalienische Provinz führte. Unter dem Dach der Kreispartnerschaft unterhalten einige von ihnen eigene Partnerschaften mit Städten und Gemeinden in Reggio Emilia.

Dass die Pflege von Partnerschaften auf kommunaler Ebene zwischenzeitlich alles andere als einfach ist, verdeutlichte Provinzpräsident Giorgio Zanni gleich zu Beginn des Besuchs bei einem Empfang in den altehrwürdigen Räumlichkeiten des dortigen Landratsamtes: „Die Provinzen in Italien sehen sich als Opfer der Verwaltungsreform von 2015, die mit Blick auf Kompetenzen und Finanzmittel einen rigorosen Kahlschlag mit sich brachte.“  Dennoch wolle er die Partnerschaft mit dem Enzkreis am Leben halten – „schon allein deshalb, weil wir meines Erachtens den unguten Entwicklungen auf nationaler Ebene in unserem Land etwas entgegensetzen müssen.“

Wie viele Menschen in Italien hofft Zanni darauf, dass Teile der Reform in naher Zukunft rückgängig gemacht werden, um die Provinzen wieder handlungsfähig zu machen. Auch Landrat Rosenau und der Sprecher der Enzkreis-Bürgermeisterinnen und -Bürgermeister, Michael Schmidt, betonten die Wichtigkeit des internationalen Austausches „gerade in Zeiten, in denen auf europäischem Boden Krieg herrscht. Denn wer sich kennt und Freundschaft schließt, bekämpft sich nicht.“

Laut Zanni ist die Provinz Reggio Emilia – in ihr leben in 42 Kommunen über 500.000 Menschen – zwischenzeitlich als eine Art Zweckverband nur noch für Mittelschulen und Gymnasien und für die Infrastruktur zuständig. Zudem fungiere sie als „Stimme und Unterstützerin der Gemeinden“. Und deren aktuelle Herausforderungen gleichen denen, vor denen auch die deutschen Kommunen stehen: die Inklusion an Schulen, eine gezielte Wirtschaftsförderung, die Finanzierung des Gesundheitswesens sowie die Flüchtlingshilfe. Laut Zanni gibt es im Landesinneren Italiens – anders als in Deutschland – beispielsweise keine großen Aufnahmezentren: Hier wird vielmehr von vornherein auf eine dezentrale Unterbringung insbesondere in kleineren, privaten Unterkünften gesetzt.

Der bewegendste Moment der Reise: Die Delegation aus dem Enzkreis vor der Gedenkstätte in einem Ortsteil von Vezzano sul Crostolo, der Partnergemeinde von Friolzheim. Foto: LRA Enzkreis

Besonderes Interesse zeigte Zanni an der Beruflichen Bildung, wie sie in Deutschland in Form des Dualen Systems seines Erachtens vorbildlich praktiziert wird, weshalb ihn Landrat Rosenau in den Enzkreis einlud, um sich dort selbst ein Bild von Azubi-Speed-Dating, Berufspraktika oder Ausbildungs- und Berufsmessen zu machen. Auch in Italien drängen nach Worten Zannis viele junge Menschen eher an die Hochschulen als in eine Ausbildung. Dies führe in vielen Bereichen zu einem eklatanten Fachkräftemangel.

Einen Einblick in die traditionelle Lebensmittel-Produktion erhielt die deutsche Delegation, der auch Sozialdezernentin Katja Kreeb, die Leiterin der Kommunalaufsicht Maral Saraie und Wirtschaftsförderer Jochen Enke angehörten, bei der Besichtigung einer Balsamico-Produktion in San Polo d´Enza, der Partnergemeinde von Eisingen, genauso wie in einem Ortsteil von Vezzano sul Crostolo, das mit Friolzheim partnerschaftlich verbunden ist. Bei Führungen durch eine Käserei und einen landwirtschaftlichen Hof, auf dem eine erst 20-jährige Bäuerin mit viel Fachwissen und Herzblut rund 40 Tiere der nur in Norditalien vorkommenden „Rossa Reggiana“ (auch „Rote Kühe“ oder „Mütter des Parmesankäses“ genannt)  züchtet, bekam die Delegation eindrucksvoll vermittelt, wie sich artgerechte Tierhaltung mit Nachhaltigkeit, dem Erhalt der Kulturlandschaft und mit für alle Beteiligten auskömmlichen Preisen vereinbaren lässt – ob Milchbauer oder Käsemeister.

Ähnlich interessant ging es in der Partnerkommune von Illingen, dem im Appenin gelegenen, rund 10.000 Einwohner zählenden Städtchen Castelnovo né Monti, weiter. Am Fuße des eindrucksvollen Tafelbergs „Pietra di Bismantova“, mitten im Naturreservat und Nationalpark hatten die deutschen Gäste Gelegenheit zum Austausch mit Vertretern von Zivilschutz, Feuerwehr und Katastrophenschutz, wobei zutage trat, dass diese Aufgaben in Italien anders als in Deutschland nicht bei den Kommunen, sondern beim Staat angesiedelt sind. Das führt dazu, dass in der Provinz der Zivil- und Katastrophenschutz auf die Unterstützung Tausender Ehrenamtlicher angewiesen ist.

Dass auch Global Players in Reggio Emilia zu Hause sind, zeigte eine Besichtigung des Unternehmens Tetra Pak Italiana, das in Neulingens Partnergemeinde Rubiera auf einem 90.000 Quadratmeter großen Areal mit 180 Beschäftigten zahlreiche Verbundverpackungen für den weltweiten Handel herstellt, darunter auch für deutsche Supermärkte.  In Rubiera sind aber auch traditionelle Handwerkskunst in Form von Keramikbetrieben sowie eine E-Mobilitäts-Firma angesiedelt, wie Bürgermeister Emanuele Cavallaro verdeutlichte, der sich sehr über das Wiedersehen mit seinem Neulinger Amtskollegen Michael Schmidt freute. Beide erinnerten bei der Gelegenheit an den regen Jugendaustausch, den die beiden Kommunen seit über 30 Jahren pflegen.

In einem Ortsteil von Vezzano sul Crostolo wartete der bewegendste Moment der Reise auf die Delegation: dort, wo im Jahr 1944 Partisanen versucht hatten, durch eine Brückensprengung den Invasoren den Nachschub abzuschneiden. In der Folge hatten deutsche Soldaten in einer Vergeltungsaktion 32 Kinder, Frauen und Männer aus dem benachbarten Dorf umgebracht. Heute steht am Ort des schrecklichen Geschehens eine Gedenkstätte, an der Landrat Rosenau und Friolzheims Bürgermeister Michael Seiss im Namen der deutschen Delegation einen Kranz niederlegten. „Ich bin sehr beeindruckt von der Großherzigkeit der italienischen Partner, deren Familien teils furchtbare Dinge erlebt haben und trotzdem bereit sind, die Hand zu reichen“, so Rosenau in seiner Rede.

Nachdem in der 30-jährigen „Ehe“ zwischen dem Enzkreis und Reggio Emilia in den vergangenen Jahren leider eine gewisse Funkstille eingetreten war – hier spielten nicht nur die Verwaltungsreform, sondern natürlich auch Corona eine Rolle – sieht der Kreischef nun jedenfalls einen guten Zeitpunkt für einen Neustart gekommen: „Bei unserem Besuch in Reggio haben wir festgestellt, dass wir auf einer Wellenlänge mit unseren italienischen Freunden liegen. Das halte ich für eine gute Basis für unsere weitere Zusammenarbeit, die wahrscheinlich im Rahmen von EU-Projekten laufen wird. Und auch auf Gemeindeebene wird sicher in den nächsten Jahren wieder einiges auf die Beine gestellt. Auf jeden Fall haben wir uns vorgenommen, uns künftig wieder öfter anzufunken.“